Nun sind es nur noch 4 Tage bis zum Heiligen Abend.
Hast Du deine Geschenke schon alle fertig
und eingepackt? Bei uns heißt es heute schon Geschenk auspacken, Weihnachten feiern und gemeinsam unter dem Christbaum die Weihnachtgeschichte zu hören.
Ihr fragt Euch warum jetzt schon ? Dafür gibt es einen besonderen Grund. Da unsere Enkelkinder auch Großeltern in der Schweiz haben muss man sich überlegen wie man das Zeitlich einteilt. So gibt es bei uns seit letztes Jahr eine gute Regelung. Im einen Jahr wird heilig Abend in Deutschland gemeinsam gefeiert und im nächsten Jahr in der Schweiz. So reisen unsere Kinder und Enkelkinder Morgen in die Schweizer Berge. Heute jedoch wollen wir den ganzen Tag gemeinsam das Ereignis vor 2000 Jahre in Bethlehem feiern. Und ein Brauch, den auch wir schon mit unseren Kindern jedes Jahr gemeinsam erlebten, eine Geschichte
bei der jeder etwas in die Hand bekommt um nicht nur zu hören sondern Mitten im Geschehen dabei zu sein.
Die Weihnachtsgeschichte werden wir dieses Jahr ohne unsere Enkelkinder unterm Christbaum lesen, aber heute Abend wir diese Geschichte von Sabine Ludwigs ein Erlebnis und Geschenk für uns alle sein.
Ich habe das Christkind gesehen
von
Sabine Ludwigs
Wir
sind drei. Meine ältere Schwester Julia, mein jüngerer Bruder
Marlon und ich. Mein Name ist Lia.
Die neugierige Lia nennen sie mich zuhause, und es stimmt, ich
bin furchtbar neugierig! Wenn Julia mit ihren Freundinnen
kichert, frage ich sofort, warum sie lachen. Wenn Marlon mit
seinen Freunden flüstert, muss ich unbedingt wissen, worüber sie
reden. Und wenn Mama sagt, ich soll in mein Zimmer gehen, weil
sie etwas mit Papa zu besprechen hat, das nicht für Kinderohren
bestimmt ist, könnte ich vor Neugierde platzen - denn ich will
alles wissen, einfach alles!
Warum heißen Milchzähne Milchzähne, obwohl sie nicht aus Milch
sind? Woher kommt der Regenbogen? Warum kann man durch Glas
sehen? Was macht der Wind, wenn er nicht weht? Aber am aller-,
allermeisten möchte ich eines wissen: Wie sieht das Christkind
aus?
Ich habe fast jeden gefragt, den ich kenne: Meine Eltern, die
Omas und Opas, Tante Stephanie und Onkel Uwe, meine Freunde,
unsere Nachbarn, den Eiermann und die Frau an der Kasse im
Supermarkt.
Sie wussten es nicht.
Ich habe den Zahnarzt gefragt, gerade, als er mir in den Mund
schaute, und das hörte sich so an: „Uie schiet dasch Krischkinn
ausch?“, und am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien habe
ich meiner Lehrerin dieselbe Frage gestellt.
Allerdings wussten auch sie es nicht. Genau wie alle anderen,
die ich noch gefragt habe und die mir gerade nicht einfallen.
Keiner von ihnen hat das Christkind je zu Gesicht bekommen. Mein
Cousin Max hat mich sogar ausgelacht und behauptet, es gäbe gar
kein Christkind.
„Das ist der dümmste Quatsch, den jemals ein Mensch erzählt
hat!“, antwortete ich Max daraufhin, „denn wenn es kein
Christkind gibt, warum feiern dann fast alle Menschen auf der
Welt an Weihnachten seinen Geburtstag? Sogar die Großen? Kannst
du mir das verraten, he?“
Konnte er natürlich nicht, war ja klar. Und heute, an
Heiligabend, werde ich ihm beweisen, dass es das Christkind
gibt. Ich habe nämlich einen Plan: Ich werde mir heimlich das
Christkind anschauen und dann werden Max die Augen aus dem Kopf
fallen, wenn ich ihm davon erzähle und ihm ganz genau
beschreiben kann, wie es aussieht. Ha!
Den ganzen Abend schaue ich aus dem Fenster vom Mädchenzimmer.
Das Christkind ist weit und breit nicht zu sehen. Draußen
schneit es so doll wie im Märchen von der Schneekönigin. Kein
Mensch ist auf der Straße. Nur der Winterwind weht ab und an um
die Häuserecken und fegt dabei Schnee auf. Die Autos sehen aus,
als hätten sie flauschige, weiße Mäntel angezogen. Überall
leuchten Weihnachtslichter. Hinter vielen Fenstern strahlen
sogar schon die Lämpchen an den Tannenbäumen, und ich weiß, dort
ist das Christkind schon gewesen.
Bei uns noch nicht.
Im Wohnzimmer ist es dunkel und still. Mama und Papa räumen in
der Essecke den Tisch ab. Wir haben Kartoffelsalat und Würstchen
gegessen, das mögen wir am liebsten am Heiligabend. Julia und
Marlon warten auf die Bescherung und spielen dabei
Schwarzer Peter.
Ich habe keine Lust mehr, noch länger hier zu sitzen und dem
Schnee beim Schneien zuzusehen. Also klettere ich von der
Fensterbank und schleiche an Marlons leerem Zimmer vorbei zum
Wohnzimmer.
Ich setze mich auf den Dielenboden, den Rücken gegen die
verschlossene Wohnzimmertür gelehnt, und warte in der
Dunkelheit. Früher oder später muss das Christkind auftauchen.
Stimmt es, dass es davonfliegt, wenn man es stört? Hoffentlich
nicht! Aber es wird wohl besser sein, wenn es mich gar nicht
erst bemerkt.
In der Küche unterhalten sich leise meine Eltern und im
Mädchenzimmer meine Geschwister. Warten ist langweilig und macht
total müde. Ein paar Mal muss ich gähnen, und gerade als ich
kurz meine Augen ausruhe, höre ich es.
Hinter der Wohnzimmertür raschelt es leise. Es klingt wie das
Knistern der Federn in meinem Kopfkissen. Ein süßer Duft liegt
über allem. Und durch das Schlüsselloch fällt ein milder
Lichtschein. Ist es so weit, frage ich mich, und das Christkind
ist endlich angekommen? Ich muss mich mit eigenen davon Augen
überzeugen. Sofort!
Neugierig stehe ich auf, beuge mich vor und linse durch das
Schlüsselloch.
Was ich nun zu sehen bekomme, ist unglaublich - und doch ist es
deutlich zu erkennen: Im Wohnzimmer, gleich neben dem
Tannenbaum, steht ein märchenhafter Engel, der sieht aus wie ein
Kind. Na ja, er sieht beinahe aus wie ein Kind! Denn
seine Haare sind ein Leuchten, und er ist viel zu schön für
einen normalen Engel! Also, wer sollte es wohl anderes sein als
das Christkind? Wer?!
Es hat schneeweiße Flügel und trägt ein lichtblaues Gewand, das
über und über mit flimmernden Sternen übersät ist. Mir wird ganz
schwindelig, wenn ich zu lange darauf starre, deshalb lasse ich
das.
Auf dem Kopf trägt das Christkind eine goldene Pudelmütze, unter
der seine auffallend leuchtenden Haare hervorquellen. Die Mütze
ist mit Schnee bedeckt. An den Stellen, an denen die Flocken
schmelzen, tropft Wasser auf den Teppich. Das Näschen ist
knallrot angelaufen von der Kälte.
In der Hand hält das Christkind ein silbernes Glöcklein. Jeder
weiß, wenn dieses Glöckchen ertönt, dann ist Bescherung. Ich
will leise nach Julia rufen und nach Marlon. Nach Mama und Papa
und nach jedem, der das Christkind noch nie gesehen hat, und am
allermeisten, auch wenn er ein paar Straßen weiter wohnt, nach
dem blöden Max. Aber vor lauter Aufregung kommt kein Wort aus
meinem Mund. Bloß ein Kicksen.
Deshalb reiße ich mich von dem prächtigen Anblick los. Ich
stürze ins Kinderzimmer und hier finde ich meine Sprache wieder.
Also schreie ich: „Stellt euch vor, ich habe das Christkind
gesehen! Kommt schnell mit, es ist …“ Weiter komme ich nicht,
denn in dieser Sekunde höre ich es. Und nicht nur ich, alle
können wir es hören. Das Silberglöckchen!
Als ich hinter Julia und Marlon zurück zum Wohnzimmer flitze,
steht die Tür weit, weit auf. Der Weihnachtsbaum erstrahlt
traumschön - wie in einem Traum eben. Die Krippe steht in seinem
Lichterglanz. Große und kleine Päckchen liegen unter den
Tannenzweigen. Ich bleibe stehen, wo ich bin, als wäre ich
verzaubert.
Als Nächstes höre ich, wie Julia, Marlon und ich gemeinsam mit
Mama und Papa singen. „Ihr Kinderlein kommet“, stimmen wir an,
„o kommet doch all.“ Es geschieht von ganz allein, dass wir
gleichzeitig das Lied beginnen.
Mir ist ganz seltsam zumute. Warm und zittrig und fröhlich und
leicht und ein bisschen so, als wenn ich zur gleichen Zeit
lachen und weinen müsste und fünf Geburtstage auf einmal hätte.
Ich glaube, das ist immer so, wenn das Christkind da gewesen
ist. Doch ganz egal ob man es nun jemals sieht oder nicht – das
Christkind gibt es wirklich! Und nur darauf kommt es schließlich
an, oder?
Autorin Sabine Ludwigs
Ich wünsche Euch allen einen schönen
und gesegneten 4. Advent.